Serge Aubin ist derzeit nicht zu beneiden. Nach zwei grandiosen Saisonen in Wien zog er weiter nach Zürich, um dort beim ZSC den nächsten Karriereschritt zu machen. Schweizer Liga. Traditionsverein. Große europäische Eishockeybühne. Wenn er dort seine erfolgreiche Arbeit weiterführen könnte, würde das seine Chancen in Nordamerika deutlich steigern, so zumindest der Plan. Kurz nach Weihnachten sieht die Situation aber alles andere als rosig aus für den ehemaligen Erfolgscoach der Caps. „Der Zett“ hinkt den Erwartungen gewaltig hinterher, steht unter dem Playoff-Strich und konnte bisher nur die kriselnden Vereine aus Davos und Rapperswil hinter sich lassen.
Neben der sportlichen Misere steht aber vor allem die Person Aubin in der öffentlichen und medialen Kritik. Nicht hart genug soll er sein. Deutliche Ansagen nach schlechten Leistungen soll er vermissen lassen. Und überhaupt, irgendwie ist er noch immer nicht richtig angekommen in Zürich. Die Fans sind verwöhnt, erwarten viel. Alles andere als eine lange Saison mit Halbfinale als Minimum wäre nicht akzeptabel…
So sehr sich Zürich von Wien als Hockeystandort unterscheidet, so ähnlich sind die Ansprüche der beiden Vereine, bei denen Aubin die vergangenen drei Saisonen verbracht hat. Sportlicher Erfolg gepaart mit attraktivem, offensivem Hockey soll es sein. Schließlich will man den Zuschauern ja auch etwas bieten für ihr Eintrittsgeld. In Wien scheint diese Kombination derzeit (wieder) aufzugehen. Das war nicht immer so in dieser Saison. Geblendet von der Siegesserie zu Beginn der Meisterschaft schlitterte die Mannschaft in eine Krise, wie man sie schon lange, sehr lange nicht mehr in Kagran erlebt hat.
Die Spieler wirkten müde, lustlos. Die Leichtigkeit der ersten Erfolge war scheinbar zerplatzt wie ein Luftballon. Frust war zu erkennen, am Eis und auf der Spielerbank. Was war geschehen? Wie konnte das passieren? Was läuft da schief? Schnell stand ein Mann im Mittelpunkt der Kritik: der Coach. Wie anders in seinem Auftreten ist er doch im Vergleich zu Serge Aubin, dieser Dave Cameron. Direkt aus der NHL nach Wien geholt wirkte er von Beginn an unnahbar, unemotional, nüchtern, sachlich.
Passend dazu die Anekdote, dass Cameron vor seiner Trainerkarriere mit jungen Häftlingen gearbeitet hat. Ihnen Disziplin beigebracht hat. Sie wieder auf ein Leben in der Gesellschaft vorbereitet hat. So wie er in den ersten Interviews auftrat, so war er auch auf der Spielerbank und beim Training zu beobachten. Die Antworten waren knapp gehalten. Die Aussagen mit Bedacht gewählt. Kein Wort zu viel kam aus seinem Mund. Auch beim Eistraining in der Halle konnte man lange nicht mehr gesehene Dinge beobachten. Ein strenger Ton. Laute Anweisungen. Ständige Unterbrechungen, wenn die Mannschaft das geforderte nicht korrekt umsetzte. Besonders beeindruckend aber die Skating-Einheiten, bei denen so mancher langgediente Caps-Spieler an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit gehen musste.
Für Anhänger und Beobachter des Vereins stellte dass alles eine große Umstellung zum Players-Coach Aubin dar, der fast schon kumpelhaft mit den Spielen umgegangen ist. Jetzt also Disziplin und Härte, anstatt Gemeinschaft und Emotion! So stellt sich das auch für viele Fans der Caps dar und bestärkte während der Krise der vergangenen Wochen viele in ihrer vorgefassten Meinung: “Der Coach passt einfach nicht zu uns!” “Die Mannschaft spielt ja eh nur gegen den Coach!” Nicht wenige schielen sogar über die Grenze in die Schweiz. Wenn Aubin entlassen wird, dann kann es doch zu einer triumphalen Rückkehr des verlorenen Sohnes nach Wien kommen!
Eine solche Rückkehr ist eventuell emotional nachvollziehbar, faktisch würde sie aber ein Scheitern auf mehreren Ebenen bedeuten. In Zürich, aber vor allem auch in Wien. Aubin zog aus, um die große Hockeywelt zu erobern. Eine Rückkehr in die EBEL ist ihm so bald nicht zu wünschen. Nicht nach Wien. Schon gar nicht zu einem anderen Verein in der Liga. Zudem scheint das „System Cameron“ langsam, aber beständig immer besser zu greifen. Wie eine Floskel klang zunächst der Satz, den der Coach bei Amtsantritt immer und immer wieder in die Mikrophone sagte: „Ziel ist es, unser bestes Hockey in den Playoff zu spielen.“
Bei noch 10 ausständigen EBEL-Spielen im Grunddurchgang und der wiedererlangten Stärke des Teams (inklusive Tabellenführung) könnte man argumentieren, dass die Richtung absolut stimmt. Gerade die letzten Spiele machen große Hoffnung, dass Cameron seiner Aussage auch konkrete Taten folgen lässt.
Zugegeben, die beiden Aubin-Jahre waren großartig, aber man sollte nicht allzu oft und allzu lange in die Vergangenheit schauen. Entscheidend ist letztlich der Erfolg der Mannschaft. Eigentlich nebensächlich, ob der mit einem charismatischen Kumpeltyp oder einem hoch professionellen Eishockeylehrer eingefahren wird. Es ist eigentlich paradox. In Zürich wünschen sich alle genau die starke Hand herbei, die in Wien kritisiert wird. Vermutlich wird Dave Cameron uns nie zu Tränen der Rührung veranlassen, so wie das bei vielen Fans beim Abschied von Aubin/Streu in der Public-Area der Fall war.
Sollte er die Mannschaft aber ins EBEL-Finale oder sogar zu einer weiteren Meisterschaft führen, hätte er seinen Platz unter den großen Trainern der Caps mehr als verdient. Wir Fans können das nur beobachten. Schlußendlich ist es ohnehin die Mannschaft, die in den kommenden Wochen zeigen muss, ob sie den neuen Führungsstil angenommen hat.