Die Vienna Capitals gewinnen wieder. Aber nicht irgendwie, sondern in Serie. Daheim. Auswärts. Hoch. Spektakulär. Eine Leistungsexplosion, die man in dieser Form nicht erwarten konnte. 6:1, 8:0, 5:0 und 8:2 lauteten die letzten Ergebnisse und das nach einem bisherigen EBEL-Grunddurchgang, der höchstens als durchwachsen bezeichnet werden darf. Umso verwunderlicher, dass die Caps auch vor der derzeitigen Siegesserie in der Ligaspitze mitspielten und kurz vor Weihnachten sogar die Chance hatten, Salzburg im direkten Duell die Tabellenspitze wegzunehmen. Sollte aber nicht sein. Die Niederlage vom Ergebnis her mit 2:3 knapp, die Überlegenheit der Bullen augenscheinlich.
Wie bereits unzählige Male in dieser Saison hatte man den Eindruck, den immer gleichen Caps-Einheitsbrei zu sehen: viel Kampf, viel Krampf, wenig Inspiration, kaum spielerische Lichtblicke. Woher sollten die auch kommen, hatte man doch vor der Saison einen deutlichen Aderlass an sportlicher Kompetenz am Eis hinnehmen müssen. Die Neuen in der Mannschaft machten bislang kaum den Eindruck diese Lücken füllen zu können. Dazu kam noch nicht für möglich gehaltenes Verletzungspech. Und jetzt das: 4 Spiele wie auf der Xbox, 27:3 Tore. Alles wieder gut in Wien Kagran. Zumindest für den Moment.
Ursachenforschung
Sehr gerne würde ich an dieser Stelle eine chirurgisch exakte Analyse des Formhochs der Caps präsentieren, aber das kann ich nicht. Warum nicht? Ganz einfach, ich weiß es nicht. Glücklicherweise geht es nicht nur mir so. Auch Capitals-Präsident Hans Schmid hatte gestern nach dem Spiel der EBEL gegen Fehervar noch keine abschließende Erklärung: „Ich bin überrascht, wie die letzten vier Spiele gelaufen sind. Ich rätsle, wie das so schnell kam.” Ich kenne/vermute an dieser Stelle nur einige Zutaten, die korrekt geschüttelt und gerührt den Hockey-Leckerbissen ergeben, über den sich alle Wiener Fans derzeit so freuen.
Die Nr. 6 – Rafael Rotter
Er ist zurück. Endlich. Rafael Rotter hat am 26. Dezember 2019 sein erstes Spiel der diesjährigen Saison gespielt, nachdem er sich Mitte August in einem Vorbereitungsspiel in Budapest zu wiederholten Mal verletze. Die Halle hatte seine Rückkehr herbeigesehnt und siehe da, auf einmal läuft das Werkl. Tatsächlich ist in den letzten Spielen eine Dynamik auf dem Eis zu sehen, die man dem Line-Up lange nicht zugetraut hätte. Und das interessanterweise trotz seiner noch augenscheinlichen körperlichen Defizite nach der langen Pause. Tatsächlich dürfte der positive Einfluss der Rückkehr der Nr. 6 weniger sportlich, sondern eher moralisch sein. Ein Blick in Niki Hartls Gesicht beim gestrigen Spiel gegen Fehervar hat das deutlich gezeigt. Die Freude ist zurück. “Messias Rafael” möchte man meinen. Ein kurzfristiger emotionaler Push für das Team oder der lange gesuchte Baustein, der das ganze Gebilde stabilisiert? Wir werden sehen.
Der Trainer und sein Team
Dave Cameron ist ein korrekter und höflicher Mensch. Seine Aussagen immer klar und strukturiert. Aber der Lack schien diese Saison nicht mehr so zu glänzen, wie vergangene Saison. Dazu gebetsmühlenartig immer dieselbe Aussage: „Weitermachen, Fehler ausbessern, immer besser werden…“. Zu sehen war eine Entwicklung selten. Einige Legionäre blieben stark hinter den Erwartungen zurück, einige Österreicher ebenso. Dazu Linienbingo vom Feinsten. Auf einmal aber harmonieren die Linien besser als je zuvor. Jeder Spieler erfüllt seinen Part. Legionäre, wie auch Österreicher, die viele schon längst zum Teufel jagen wollten performen individuell und im Verbund. Loney und Kichton sind ligaweit mittlerweile die Spieler mit den besten Plus/Minus-Werten. Brenden Kichton dazu der punktbeste Defender der Liga. Ali Wukovits macht den Nissner 2.0 und findet sich sowohl in der Punkteliste, als auch im Plus/Minus-Ranking unter den Top-10 Österreichern wieder, Tendenz steigend.
Nicht nur die österreichische Regierung hat sich dieser Tage gefunden, auch im Team der Vienna Capitals scheinen sich Zweier- und Dreier-Koalitionen zu bilden, die uns zumindest für diese Saison noch einiges an Spaß versprechen. Geht die Taktik von Dave Cameron nun gegen Ende des Grunddurchgangs tatsächlich auf. Wir werden sehen.
Die Gegner
HC Orli Znojmo, EHC Liwest Black Wings Linz und Hydro Fehervar AV 19 waren die Gegner in den erfolgreichen letzten Spielen. Aktuell sind die Teams auf den Tabellenrängen 3, 5 und 9. Znojmo und Fehervar liegen den Caps traditionell gut. Aber alle drei Teams waren nicht in der Lage den Caps auch nur ansatzweise Paroli zu bieten. Zu erdrückend war deren Dominanz. Aber genau hier stellt sich die Frage, ob diese Mannschaften derzeit leistungstechnisch nicht ganz auf der Höhe sind und den Caps somit leichtes Spiel ermöglichten. Sowohl Fehervar- wie auch Linz-Spieler betonten nach Spielende, dass sie sehr schlecht gespielt hätten und der Erfolg der Wiener weniger auf deren Stärke, als auf die Schwäche des eigenen Teams zurückzuführen sind. Fehervar-Coach Hannu Järvenpää streute dagegen der Wiener Mannschaft im Sky-Interview Rosen und beschrieb das Spiel wie folgt: “Wir haben ein paar Entschuldigungen, aber die lasse ich nicht zu. Das einzige Problem heute waren die Wiener. Sie haben so stark gepresst, dass wir aus der eigenen Zone fast nicht rausgekommen sind. Ich bin froh, dass dieses Spiel aus ist“. Naja, es gibt immer zwei Seiten einer Medaille.
Die kommenden Spiele werden zeigen, ob die Konstellation des EBEL-Spielplans den Caps hier in die Hände gespielt hat. Doch denkt man an die Tabelle nach dem Salzburg-Spiel zurück, so bringt der Faktor „Gegner“ noch einen weiteren Aspekt mit sich. Der Punkteabstand der ersten sechs Mannschaften war knapp, sehr knapp sogar. Ein paar verlorene Spiele mehr und die Caps hätten sich unter dem berühmt-berüchtigten Strich wiedergefunden. Bye-bye Platzierungsrunde. Hallo Quali-Runde. Aus dem Umfeld der Mannschaft hört man, dass Coach Cameron der Mannschaft diesen Umstand in der Kabine klargemacht hat. Sehr klar gemacht hat.
Der Ritt auf der Erfolgswelle
“Wenn’s laft, dann laft’s!” Die berühmte Erfolgswelle darf hier natürlich nicht fehlen. Zuletzt war bei den Interviews nach den Spielen wiederholt zu hören, dass auf einmal „der Puck für uns springt und den Weg ins Tor findet“. Reines Glück nach Monaten des Pechs? Der deutsche Fußballtrainer Hermann Gerland hat diesen Umstand so beschrieben: „Immer Glück ist Können!“. Wer möchte da widersprechen?
Keine Zauberformel
Die berühmte Zauberformel wird es nicht geben, dennoch scheinen die Vienna Capitals derzeit den Schlüssel zum Erfolg gefunden zu haben. Die kommenden Wochen werden zeigen, wie beständig das neu gefundene Leistungsvermögen ist, wie stark die anderen Gegner sind und wie lange der Lauf anhalten wird. Aber auch wenn die letzten vier Spiele nichts Historisches waren, wird man sich als Capsfan immer gerne an den Jahreswechsel 2019/2020 erinnern, wo die Caps die Gegner mit 27:3 aus der Halle geschossen haben.